Über 300 Gäste kamen zum Empfang der Evangelischen Landeskirchen Baden und Württemberg sowie der Landesregierung Baden Württemberg nach Ulm. Darunter 128 Parlamentarier des Kirchenparlaments in „bunt gemischter Zusammensetzung, ob Landwirt*in, Superintendent oder Pfarrer*in und internationale Gäste wie der schwedische Erzbischof“, äußerte sich EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich im Haus der Begegnung. Sie hatte Menschen zum Schwerpunktthema „Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben“ bereits im Vorfeld aufgerufen, per Video von ihrem Glauben zu erzählen. Exemplarisch soll damit der Mehrwert eines in die Gesellschaft getragenen Glaubens aufgezeigt werden.
Im Rahmen einer impulsreichen Rede äußerte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu schwindendem Wissen „über den christlichen Glauben und die Wurzeln unserer Kultur“ mit Folgen für die Kirche, die in der Gesellschaft an Akzeptanz verliere, ebenso wie für die Gesellschaft. Damit gehe eine wichtige Quelle der Sinnstiftung und existentiellen Bedeutung verloren. Die Gesellschaft laufe Gefahr, in einer säkularen und transzendenzlosen Fixierung auf das Hier und Jetzt selbstbezüglicher und egoistischer zu werden. Auch eine säkulare Gesellschaft brauche Religion, die über Generationen und Lebensumstände hinweg die Frage nach dem Sinn des Lebens für sterbliche Menschen, die Sorge um Menschenwürde und Arbeit an einer gerechteren Welt sicherstelle.
Kretschmann hob die im Grundgesetz gesicherte Religionsfreiheit in Erinnerung, „ohne Rückzug ins private Kämmerlein“, sondern durch Kooperation der Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum. Religionsunterricht an Schulen fördere die Demokratiefähigkeit von Glaubensgemeinschaften und auch, wenn der Inhalt durch Lehrkräfte bestimmt werde, müssten diese die Verfassungsordnung aktiv vertreten. Es gelte, junge Menschen zu befähigen, ihren persönlichen Glauben, ihre Wertvorstellung nicht nur zu behaupten, sondern auch zu begründen und das mit Lehrkräften, die selbst glauben: „Das ist ja der Kern des konfessionellen Unterrichts. Es kommt auch keiner auf die Idee Musik zu unterrichten, der kein Instrument spielt.“
Kretschmann rief auf zu mehr mehr Mut und Reformbereitschaft und bezog sich auf die langjährigen Volkskirchen: Diese seien wegen sinkender Mitgliederzahlen bald Kirchen im Volk und Teil einer Gesellschaft, die nicht mehr selbstverständlich mit Christlichem umgehe.
Elementare Fragen seien: Warum und wie Menschen heute noch in einer wissenschaftlich begründeten und durchdrungenen Welt an Gott glauben sollen? Was der Glaube zu drängenden Fragen der Menschheit beitragen kann, wenn zuerst die Wissenschaft das Wirkungsgefüge erklärt? Glaube müsse laut Kretschmann wieder existenzieller werden. Niederschwellige liturgische Angebote im Verbund mit Experimentierfreudigkeit seien eine Möglichkeit, aber auch konservative Gottesdienste mit altbekannten Kirchenliedern bis hin zu höchstbewährten Aktionen, die Gemeinschaftserlebnisse ermöglichen, gehörten dazu.
Neben der klimatischen Herausforderung erfordere die Digitalisierung durch künstliche Intelligenz ein Umsteuern:
Darüber müsse gesprochen werden, „denn wer nicht mit kocht steht am Ende auf der Speisekarte“.
Das Evangelium könne als Inspirationsquelle für die Erneuerung der Welt dienen, als Motivation dafür, Ressourcen freizusetzen, die sonst nicht zu gewinnen wären. Kirchen könnten zeigen, wie aus dem Evangelium Zuversicht in der Krise und Mut zum Handeln erwachsen. Es könne vorgelebt werden, wie auch in Krisen zuversichtlich und mutig zu handeln sei. „Kirchen sind Glaubensgemeinschaften, keine Partei oder NGO“, weswegen der Glaube ein unverwechselbarer Beitrag der Kirchen für die Gesellschaft sein könne. „Unser Glaube ist für die Welt da und nicht für uns selbst“, so Kretschmann.